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Immer wieder gemischte Gefühle

Ein weiteres wunderbares Wochenende ist vergangen, an dem ich mein Mädchen bei mir haben konnte. Es war wirklich unglaublich wunderschön. Evelyn hat die Nächte sehr gut geschlafen und war überhaupt ziemlich entspannt. Die Krämpfe hielten sich in Grenzen und somit konnten wir viel draußen sein.

Am Freitag waren wir mit einer Freundin und ihrer kleinen Tochter

Eisessen, am Samstag war gemütlicher Badetag bei Gewitter und Regen zu hause. Am Sonntag, am Muttertag, sind wir mit Nikolai an den Strand gefahren und hatten einen wirklich so wundervollen Tag mit Freunden. Es war herrlich sonnig warm und Evelyn hatte nur zwei Krampfserien und hat alles so toll mitgemacht. Sie hat es sichtlich genossen. Überhaupt hatte ich das Gefühl, dass Evelyn das ruhige Wochenende zu hause wieder sehr gebraucht hat. Sie war ganz kuschelig und ruhig.

Umso schwerer fiel mir natürlich wieder der Abschied heute.

Ich frage mich oft, wie leicht oder schwer es Evelyn fällt, von zu hause auf WG umzuswitchen und andersherum. Ob sie es versteht, dass sie jetzt wieder von weitestgehend fremden Menschen ins Bett gebracht, morgens geweckt und über den Tag versorgt wird? Dass nicht Mama, sondern plötzlich wieder ganz andere Menschen sie in einer anderen Umgebung als zu hause betreuen?

Es haben in den letzten Wochen einige neue Pflegekräfte in der WG angefangen. Was gut ist, denn es wird dauernd Personal gesucht, um verläßlich alle Dienste abzudecken.

Aber wie ist das für mein kleines Mädchen? Versteht sie, dass es sein muss? Dass sie nicht immer zu hause sein kann? Versteht sie, dass Mama nicht immer da sein kann? Dass Mama sie wegbringt und dann dort zurückläßt?

Ich weiß, mit solchen Gedanken mache ich es mir nicht einfacher. Aber ich habe diese Gedanken. Manchmal quälen sie mich sehr. So wie heute. Ich gebe sie in der WG ab und danach, wieder zu hause, überkommen mich Schuldgefühle.

Es geht nicht anders, das ist mir bewusst. Sonst hätte ich diesen Schritt niemals getan. Doch, nur weil es sein muss, heißt es nicht, dass es mir auch leicht fällt. Im Gegenteil.

Gerade weil Evelyn so ein hilfloses Wesen ist, das sich nicht mitteilen, nicht nach mir rufen kann, wenn sie mich braucht. Ein kleines behindertes Mädchen, das ohne fremde Hilfe nicht überleben würde. Das 24 Stunden auf fremde Hilfe angewiesen ist. Darauf angewiesen, dass man sie richtig in den Stuhl setzt und die Falten aus ihrer Jacke zieht, damit sie keine Druckstellen bekommt. Den Mund befeuchtet, damit ihre Lippen nicht austrocknen. Sie bürstet, damit ihre Kopfhaut nicht juckt. Sie umdreht, damit sie sich nicht wund liegt. Sie nach dem Husten absaugt, damit sie richtig atmen kann. Ganz zu schweigen von der Nahrungsaufnahme, wickeln und vieles mehr.

Ich habe das Gefühl, ich stehe jedesmal vor einer Entscheidung. Vor der Entscheidung: sie oder ich. Ich muss mein Kind abgeben, sie allein zurücklassen, weil ich es nicht schaffe. Wenn ich sie nicht abgebe, gehe ich unter. Existiere nicht. Habe kein eigenes Leben. Wenn ich es tue, muss sie es schaffen. Dann muss sie da durch. Weil es nicht anders geht. Weil Mama es nicht schafft alleine. Diese Konsequenz ist manchmal einfach zuviel für mein Mamaherz. Denn welche Mutter würde sich ohne weiteres an erste Stelle stellen? Wer würde sich da nicht furchtbar fühlen, auch wenn der Verstand weiß, dass es einfach nicht anders geht? Möchten wir doch stets das Beste für unsere Kinder. In unserem Fall muss das Beste für mein Kind sein, dass ich sie hergebe. In eine andere Umgebung als zuhause, um dort zu leben und versorgt zu werden. Damit Mama sich erholen und Dinge für sich tun kann. Ich weiß, dass es um meine Kraft geht und um mein Bestehen. Auch Evelyn zu liebe. Aber Muttergefühle sind mindestens genauso stark, wie der eigene Überlebenswille. Oftmals sogar noch stärker. Wenn diese Kräfte an mir zerren, zu gleichen Teilen, dann ist das manchmal kaum auszuhalten. Wenn dann doch der Überlebenswille siegt, fühle ich mich wie eine Rabenmutter, obwohl ich weiß, dass ich das nicht bin.

Wenn Evelyn nach Hause käme und mir berichten würde, wie schön ihr Tag war, wüsste ich, ich hab alles richtig gemacht - mein Kind ist glücklich. Wenn sie nach Hause käme, und mir erzählen würde, sie wurde geärgert und es war ein doofer Tag und sie will nie wieder zu Schule gehen, könnte ich sie in den Arm nehmen und trösten und Kraft geben. Auch dann wüsste ich, es ist alles, wie es sein sollte. Doch so kann ich nur hoffen, dass alles gut ist. Es mir einreden, und es mir wünschen. Es ist ein bisschen, als würde man sich ein Stück Gefühl kappen müssen. Das Herz verschließen. Damit man es aushält. Im wahrsten Sinne des Wortes: Augen zu und durch.

Immer wieder begegnen mir Mütter, die ihr Kind zu Hause allein pflegen. Sofort vergleiche ich mich mit ihr. Oh Gott, sie schafft es. Und ich nicht. Was bin ich für eine Mutter. Aber wir alle sind nicht zu vergleichen. Ich habe mich grundsätzlich dazu entschieden, mein letztes bisschen Kraft auszubauen. Den Akku bei 1 % zu laden, bevor das Handy ausgeht.

Es bleibt jedoch eine Zerreißprobe.

Denn manchmal wollen mein Herz und mein Verstand das alles einfach nicht verstehen.

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