top of page

1.Lebensjahr   08.2010-08.2011

"Someday 

everything will

make perfekt sense.

So for now,

laugh at the confusion,

smile through the tears,

and keep reminding yourself that

everything happens for a reason."

natural life

Evelyns 1. Lebensjahr 

27.08.2010, 5:30 Uhr

Evelyn kommt in Hamburg Barmbek zur Welt. 

Ein unfassbares Wunder, der wundervollste, atemberaubendste Moment in meinem ganzen Leben.

Da ihre Herztöne auch zwischen den Wehen runtergingen, entschieden die Ärzte nach knapp 5 Stunden, dass Evelyn per Kaiserschnitt geholt werden sollte. 

Mir ging das alles viel zu schnell, ich wollte doch unbedingt mit meinem Baby den Geburtsvorgang erleben. Das war doch notwendig für allmöglichen biochemischen wichtigen Vorgänge in ihrem Körper, hatte ich gelesen! Ich wollte unbedingt durch den Schmerz der Geburt gehen. Und das Bonding danach, das war doch so wichtig...

Es sollte nicht sein und so nahm das bisher noch gut aushaltbare Wehendurchstehen im gemütlichen Kreißsaal sein jähes Ende im grellerleuchteten Operationssaal mit lauter vermummten Schwestern und Ärzten. Es war grauenhaft, ein Trauma, mit dem ich noch wochenlang später zu kämpfen hatte. Allein die Tatsache, dass ich nicht in der Lage war, mein Kind auf natürlichem Wege zur Welt zu bringen, hat mich sehr frustriert und traurig gemacht.

Aber mein Kind in den Armen zu halten war das größte und schönste Geschenk, das ich mir überhaupt im Leben vorstellen konnte.

Nach vier Tagen konnten wir nach Hause gehen und die erste wunderschöne Zeit zu dritt genießen. Ich war vollkommen fasziniert von diesem kleinen Wunderwesen und konnte nichts anderes, als sie den ganzen Tag anzusehen. 

Es war scheinbar alles normal. Evelyn schlief viel, machte wunderschöne glucksende Geräusche, trank an meiner Brust (okay, ich mußte sie dafür schon wecken, sonst hätte sie das einfach verpennt...) und schien ein ganz normales Baby zu sein. Wir machten unendlich viele Fotos von unserem Engelchen, meine Narbe verheilte gut, und wir waren ganz selig. Leider hatten wir ziemlich schnell mit ihrem extrem wunden Popo zu kämpfen und schlugen uns zahlreiche Tage und Nächte damit um die Ohren, ihn trocken zu halten. Auch spuckte sie oft die kompletten Mahlzeiten wieder aus. Aber all das sollte angeblich normal sein und so nahmen wir es hin.

06.Oktober 2010

Eines Sonntags entdeckten wir eine traubengroße Beule in Evelyns Leistengegend. Die Hebamme winkte am Telefon ab, das sei auf jeden Fall nur ein geschwollener Lymphknoten. Da Evelyn nicht schreie vor Schmerzen, bräuchten wir uns da keine Sorgen zu machen, das sei ganz normal bei Neugeborenen.

Etwas unsicher waren wir uns, aber wir wollten nicht als übersensible 

Eltern gelten und vertrauten auf das Urteil der Hebamme.

Im Nachhinein kann ich nicht sagen, wie oft wir uns dafür die allergrößten Vorwürfe gemacht haben, nicht sofort in die Klinik gefahren zu sein...

 

 

 

Am nächsten Tag stellte sich beim Kinderarzt heraus, dass es ein Leistenbruch war, der leider nicht mehr zurückzudrücken war.

Somit mußte sofort operiert werden. Der Kinderarzt verabschiedet uns noch in die Klinik mit den Worten: "Seien Sie froh, dass es nichts Schlimmes ist". 

Nachts um 00:00 Uhr mußten wir unser kleines, 6 Wochen altes Mädchen in die Hände des Anästhesisten geben. Sie wurde in den Operationssaal geschoben und die große Tür schloß sich vor unseren Augen. Das Gefühl war grauenhaft und ich kann nicht beschreiben, wie quälend lang und zäh diese Stunde für uns war. 

Endlich kam der operierende Arzt heraus und ich erinnere mich noch, dass mir bei seinem Gesichtsausdruck ganz Angst und Bange wurde. War etwas schlimmes passiert?! Aber er sagte daraufhin ganz unerwartet, dass alles gut gegangen sei und Evelyn dabei wäre, wieder wach zu werden.

Bald öffnete sich der Aufwachraum und wir bekamen unser Kind wieder. Evelyn war noch sehr benommen von der Narkose und wir waren überhaupt nicht glücklich mit dem was wir sahen. Aber wir dachten, das sei nun einmal so nach einer Narkose.

Ich konnte mit ihr aufs Zimmer und sie erstmal stillen. Dann schliefen wir beide schön zusammen ein. Ich war überglücklich, dass ich mein Baby wiederhatte.

Am nächsten Tag kam der Papa gleich zu Besuch und freute sich riesig, sein Kind zu sehen. Ihm fielen sofort diese Mini Zuckungen auf, die Evelyn seit der Nacht hatte.

Auf unser Nachfragen bei den Schwestern und Ärzten hieß es, das seien noch die Nerven, die sich erst noch "eingrooven" müßten...

Vier Wochen beobachteten wir diese kaum merklichen aber eindeutigen Zuckungen am ganzen Körper, doch alle Ärzte, die wir dazu gefragt hatten, waren sich einig, das sei nichts Ernstes.

Man konnte sie auch kaum wahrnehmen und sie vermischten sich mit ihren noch fahrigen, unkontrollierten Neugeborenenbewegungen.

Doch wir sollten es bald besser wissen.

 

09.November 2010

Evelyn schlief bereits seit drei Stunden in unserem Bett. Es war mittags und ich wollte sie langsam zum Trinken wecken. Ich drehte sie vorsichtig um und erschrak. Sie war ganz blass und fahl im Gesicht. Sie starrte an die Decke und schluckte rhythmisch mit leicht gekräuselten Lippen. Ich dachte, ich traue meinen Augen nicht und starrte sie prüfend an. Doch da nahm sie auch schon wieder Farbe an und ich fragte mich, ob das durch die geschlossenen Gardinen gedimmte Licht im Schlafzimmer mir einen Streich gespielt haben konnte. Evelyn schlief wieder ein und ich beschloß mit dem Stillen noch etwas zu warten. Nach ca einer halben Stunde wachte sie von selber auf und sah schon wieder so blass-grau aus. Mir war das alles nicht geheuer. Ich rief Nikolai und wir beschlossen, gleich nach dem Stillen ins Krankenhaus zu fahren. Noch einmal wollten wir keine Zeit verlieren und diesmal nichts falsch machen.

 

Nach dem Stillen, beim Bäuerchen machen, passierte es dann.

Evelyn zuckte plötzlich ganz stark und gab dabei im Rhythmus kurze, laute Stöhnlaute von sich. Ich erschrak, hielt sie vor mich hin und rief:"Bitte hör auf! Was ist hier los?! Bitte hör doch auf!"Ich war schockiert und wollte nur noch, dass es aufhörte. Doch sie zuckte und stöhnte ruckartig weiter.

Dann geschah alles wie im Film. Irgendwie ohne Ton, hektisch, panisch, verzweifelt. Nikolai rief den Notarzt. Ich hielt mein Kind auf dem Arm. Mittlerweile hatte sie Gottseidank aufgehört so zu zucken.

Dafür schrie sie jetzt wie am Spieß und hatte mit einem laut hörbaren Geräusch geschietert. Der Krankenwagen war sehr schnell da. Der Arzt sagte, wir sollen Fieber messen. Doch immer, wenn ich Evelyn dafür hinlegen wollte, begann sie so unglaublich doll zu schreien, dass ich sie immer wieder sofort hochnehmen mußte. Ich versuchte es ein paar Mal, aber es war einfach nicht möglich. Der Sanitäter sagte, wir sollten besser gleich ins Krankenhaus fahren.

Ich zog Evelyn an und wir machten uns auf den Weg.

In der Uniklinik Hamburg angekommen, krampfte sie noch einmal sehr stark, vor den Augen der Ärzte. Diesmal wieder ganz anders. Sie zog ihre Ärmchen an, ballte ihre kleinen Händchen zu Fäusten und wurde ganz rot, fast lila im Gesicht.

Der Arzt pustete ihr kräftig ins Gesicht - keine Reaktion.

Das war das erste Mal, das Evelyn Diazepam per Rektiole verabreicht bekam.

Für den Transport auf die Intensivstation legten sie sie in einen Inkubator und schoben sie hinaus. Wir durften für eine gefühlte, quälende, bangende Ewigkeit nicht zu ihr.

Doch dann endlich wurden wir gerufen und konnten zu unserem kleinen Mädchen. Sie hatte bereits ein MRT hinter sich, eine Lumbalpunktion und mehrere Blutabnahmen. Ein Zugang steckte in ihrem Kopf. Es war furchtbar. Fassungslos schauten wir unser kleines Baby in ihrem Bettchen an und wußten gar nicht, wie und wo wir sie anfassen konnten.

Unser Kind war an jedem Bein, an jedem Arm und sogar am Kopf an Schläuche und Kabel gebunden. Diesen Anblick konnten wir gat nicht so schnell verarbeiten... 

Vor allem das Stillen wurde zu einem riesigen Kraftakt. Doch ich wollte das ihr und mir bewahren. Sie war doch noch so klein und brauchte doch gerade jetzt die Nähe und die Milch ihrer Mama.

Von diesem Tag an waren wir drei Monate in diesem Krankenhaus. Auf der Suche nach der Ursache dieses schrecklichen, dieses unfassbaren Unglücks. Doch diese konnte bis heute nicht gefunden werden...

Mit unglaublich vielen Untersuchungen, einem Medikament nach dem anderen, unzähligen Krämpfen, hektischen Notfallmomenten und kaum Schlaf vergingen die Tage und Wochen. Ich verließ das Zimmer fast nie und war in der Zeit nur ein einziges Mal zu Hause, um endlich einmal mehr als nur bis zu drei Stunden die Nacht zu schlafen. Alles verlief wie in einem schrecklichen Albtraum. Völlig unwirklich.

 

Relativ schnell mußten wir der unfassbaren Erkenntnis ins Auge sehen, dass die Ärzte mit ihrem Latein am Ende waren. Sie konnten unserer kleinen Tochter nicht helfen. Keine der zahlreichen Untersuchungen konnte aufschlußreiche Befunde liefern. Für eine von uns gewünschte Zweitmeinung wurden wir für ein paar Tage in die Uniklinik Kiel zu einem renommierten Spezialisten verlegt. Doch auch hier standen wir ratlosen Gesichtern gegenüber und wurden nach kurzer Zeit wieder zurückverlegt nach Hamburg. 

 

Zuletzt sorgte ein zunächst vielversprechender Versuch mit einer Kortison Dauertherapie dafür, dass Evelyn aufging, wie ein Hefekuchen. Aber gebracht hat es leider überhaupt nichts.

So wurden wir Anfang Februar aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen. Ohne Nachsorge, ohne Betreuung, ohne Hilfe und Unterstützung. Wir waren ganz allein mit unserem Disaster, unserer ganz persönlichen Katastrophe. 

(Fortsetzung folgt...).


 

bottom of page